Eine Schwierigkeit im Wald. Der Rehbock, der zwischen Oktober und Dezember des Vorjahres seine Hörner abgeworfen hat, befindet sich mitten in der Bastzeit. Mitte März soll sein Gehörn reinweiß und hart unter dem Bast zum Vorschein treten und der Bock das zu neuem Angriff und Verteidigung bereite Bild seiner selbst werden.
Eine Schwierigkeit im Wald. Der Körper des basttragenden Bocks schüttet kein Testosteron mehr aus. Es mangelt ihm plötzlich am Stoff, der den reibungslosen Ablauf von Gehörnswachstum – Gehörnabwurf – Gehörnwachstum garantiert, und er sieht sich in einer hormonellen Notlage. Die Antwort des Rehkörpers ist die Produktion einer Neuheit: physischen Überflusses. Knochengewebe und Bast stauen sich unkontrolliert an seinem Gehörn an, ihm wächst eine Allongeperücke.
Die Unterproduktion des einen bewirkt die Überproduktion des anderen. Durch dieses Zuviel wird sich der Rehbock fremd, er ist als Naturwesen pragmatisch und produziert von allem nur so viel wie nötig, alles darüber hinaus Gehende ist grobe Verschwendung knapp bemessener Ressourcen. Nun wächst ihm ein Unnötiges, weil ihm ein Nötiges fehlt, und er ist in seinen Grundfesten erschüttert.
Der Körper des Bocks stellt sich nun selbst infrage, er hat die eigenen Grenzen nach außen wie nach innen überschritten und sich ins Unbekannte verlängert. Da er sich, neuerdings ein gesellschaftliches Wesen, jenseits einer Gesellschaft aufhält (die ihm seine Mitböcke nicht bieten können), findet er sich unverhofft in der Einsamkeit wieder. Er wird seine eigene Gesellschaft und wächst weiter, nimmt weiter neuen Raum ein.
Der Perückenbock stirbt; er erblindet, weil ihm seine Perücke über die Augen wächst, oder er fängt sich eine Virenerkrankung ein. Die Natur, die die ihn umgibt, lässt keinen Raum für seine zerbrechliche, widersprüchliche Schönheit, und die Strafe folgt auf dem Fuß.
Der Perückenbock stirbt, in seinem Wesen eine Abgrenzung der Natur von der Natur, ein Geschöpf von Mangel und Überfluss. Er ist Bewohner einer Zukunft.