Es wäre ja zu einfach, zu sagen, dass Feltrinelli einfach übergeschnappt ist, und dass er sich zum Terrorismus hingewandt hat und beschlossen hat, dass man, um die Gesellschaft zu verbessern, einen Guerillakrieg wie in Bolivien führen müsse, wie Che und Castro ihn geführt haben, dass diese Hinwendung zur Gewalt nur Kompensation war, weil sie ihn bei der Partei auf die Straße geschickt haben zum Zeitungenverteilen und ihm gesagt haben, dass er als Millionärserbe und Großbürgersohn mal schön die Beine stillhalten kann, weil hier richtige Arbeiter was zu sagen haben, wie ja auch Castro ihm später noch in den Untergrund geschrieben hat, dass er lieber Verleger hätte bleiben sollen, daraus diese Hinwendung zur Gewalt zu erklären, das wäre auf jeden Fall zu einfach.
Das wäre zu einfach, Feltrinelli so auf die Couch zu legen ginge ja an der Sache völlig vorbei, also an der Frage, ob an seiner Methode nicht vielleicht was dran war, auch wenn er ganz konkret damit gescheitert ist, egal jetzt, ob er sich selber in die Luft gesprengt hat oder ob das der italienische Geheimdienst war, also welche Formen diese Feltrinelligewalt noch hätte annehmen können und ob die nicht vielleicht erfolgreicher gewesen wären, in gewisser Weise ist diese Erzählung auch eine Ehrenrettung Feltrinellis, eine andere Version der Geschichte, wie er hätte weitermachen können, statt bei der Strommastsprengung zu sterben, wenn er wirklich das geworden wäre, was er sein wollte, nämlich ein Revolutionsführer und nicht mehr nur ein überspannter Großbürger, und der Aufhänger für diese andere Erzählung sind dann eben seine Kontakte zu den sardischen Emigrantengruppen in Köln und Ulm, wobei mich Köln nicht so interessiert hat, natürlich auch weil ich eben aus der Ulmer Ecke komme, aber auch, weil ich mir eine Organisation wie die Sardische Räterepublik eben im Rheinland nicht gut vorstellen konnte, das Rheinland ist für einen Umsturz, wie ihn in meiner Version der Geschichte die Sarden mit Feltrinelli an der Spitze durchführen, nicht so gut geeignet, ein Vorbild für Feltrinelli bei seinen Guerillaphantasien in Sardinien waren ja auch die süddeutschen Bauernaufstände, der Bauernkrieg, und der fand eben zu großen Teilen in Südwestdeutschland statt, in Baltringen und Wurzach und eben Ulm und so weiter, und die Schwaben haben halt auch diesen Hang zur Kleinstaaterei, weshalb so eine Sezession wie die der Sardischen Räterepublik Ulm, wo dann eine mittelgroße Stadt sich vom restlichen Bundesland einfach abspaltet, gar nicht so abwegig ist in dieser Region, und letzten Endes wollte ich ja auch einen Heimatroman schreiben, und den kann ich dann schwer anderswo ansiedeln als da, wo ich herkomme, also in meiner sogenannten Heimat und die jungen, unorganisierten APO-Leute, die Feltrinelli und den Sarden so enthusiastisch helfen wollen und damit eigentlich allen eher auf die Nerven gehen, weil sie für irgendeine Form von praktischer Arbeit einfach ungeeignet sind, das ist auch eine Kollision revolutionärer Denkweisen wie mit den Ulmer Romanistikstudenten, die denken, sie können der Revolution nützlich sein, indem sie die italienischen Manifeste der Sarden ins Deutsche übersetzen, dabei sprach Feltrinelli ein besseres Deutsch als sie, die Familie in Mailand war ja besessen von deutscher Kultur, weshalb der Sohn, der spätere Terrorist, immer deutsche Kindermädchen hatte und am Esstisch nur Deutsch gesprochen wurde, auf jeden Fall die Ulmer APO-Studenten sind ja ganz bewusst als Kleinstadtkinder und Dorfkinder angelegt, diese Figuren sind ja auch aus der Sicht von einer der Erzählerinnen geschildert, die selber eine von ihnen, also ein Dorfkind, ist und stark die Erfahrungen, also die Erzählungen meiner Mutter spiegelt, die in so einer Kleinstadt-APO-Gruppe in meiner sogenannten Heimat Schwaben aktiv war, deren Mitglieder von genauso großen und gewaltigen Gesten immer geträumt haben wie die Sprengung des Ulmer Münsters, die die Sarden dann bei mir durchführen und die die Ausrufung der Sardischen Räterepublik in Schwaben einleitet.
Und es hat mich deshalb auch wahnsinnig gestört, dass in der Art, wie das rezipiert worden ist, diese Heimatromanhaftigkeit, für die ich mich bewusst entschieden habe, so gar nicht verstanden worden ist, dass es im Gegenteil so als Antiheimatroman gelesen worden ist, der es eben nicht sein soll, es ist ein richtiger Heimatroman, aber eben einer, der aus der Sicht von Figuren geschrieben ist, die nicht ständig so einer unbestimmten Vergangenheit hinterhertrauern und die eigene Zurückgebliebenheit feiern, sondern die genau damit Probleme haben und sich an denen auch ganz handgreiflich abarbeiten, also ein Entwurf für einen politischen Heimatroman, dessen Haltung eben nicht die ist von einem gescheiterten Germanisten Anfang vierzig, der sich aufs Dorf und in die Welt seines Großvaters zurücksehnt, mit alemannischer Fastnacht und Bläserverein und Mutter in der Küche, das ist ja das Erbärmliche an der Mehrzahl dieser Romane, ob sie jetzt als Krimis angelegt sind oder nicht, die Krimis sind in der Sparte nur die schlimmsten, weil sie auf der Annahme aufgebaut sind, die eigene Zurückgebliebenheit sei weniger verachtenswert, wenn man sie nur selbstbewusst vertritt, und nicht einmal dieses Selbstbewusstsein können sie aufrechterhalten, weil sie sich auch nie die verlogene Selbstironie verkneifen können. Und deshalb bleibt die Gewalt dieser Heimatkrimis auch immer so harmlos, egal wie blutig sie ist.